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Ein Leben in Zeiten der Veränderung

In meinem ersten Interview, das am 25.4.2015 stattfand und das hier nachzulesen ist, habe ich mich mit Birgit Meinhard-Schiebel unterhalten, einer Frau, die seit 15 Jahren in Pension und dennoch aktiver denn je ist. Aktuell ist sie unter anderem Präsidentin der Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger und Vorsitzende der Grünen SeniorInnen Wiens . Es geht um ihre persönliche Geschichte mit Fokus auf ihr Arbeitsleben sowie um ihre Sicht der Dinge was die heutige Arbeitswelt betrifft. Viel Vergnügen beim Lesen!

Liebe Birgit, danke, dass ich hier dieses Gespräch mit Dir führen darf. Wie Du weißt, beschäftige ich mich derzeit mit dem Thema „ Menschen im Veränderungsprozess“, spezifischer vielleicht noch mit Frauen im Veränderungsprozess. Ich begleite diese in Einzelcoachings und mit Workshops. Meine erste Frage an Dich, die Du sehr unterschiedliche Jobs in Deinem Leben gemacht hast: wie bist Du vorgegangen, hattest Du immer einen Plan?

Ich habe mein ganzes Leben lang immer etwas Neues gemacht, was vom Himmel gefallen ist – stimmt natürlich nicht ganz so, aber es hat sich immer wieder etwas ergeben. Ich wurde gefragt, es hat mich interessiert und dann habe ich es gemacht, so lange wie es mich gefreut hat. Als Jugendliche habe ich zu meiner Mutter gesagt, ich will Schauspielerin werden, sie hat geantwortet: da drüben ist die Schauspielschule, das war’s. Dann bin ich zufällig in der Erwachsenenbildung gelandet. Dort war ich 18 Jahre. Auch das hat sich zufällig ergeben. Ich war in Israel nach dem 6 Tage Krieg und habe dort einen Freund getroffen, der mir sagte, er muss einen Schulungsbetrieb für arbeitssuchende Frauen aufbauen. Und er wusste nicht wie das geht und hat mich gefragt, ob ich mich da auskenne. Ich hatte keine Ahnung aber wir haben beschlossen, es miteinander zu machen und das war der Beginn. Und dann hatte ich diese Gestaltungsfreiheit, ich konnte einfach beginnen – das war 1974. Es war toll, weil mich jede Art von Bildung interessiert hat, aber ich wollte nie Lehrerin werden, das habe ich schon gewusst. Und ich war deshalb 18 Jahre dort, weil ich es genossen habe, dass immer die Menschen, die Klienten gewechselt haben. Sie kamen damals über die Gewerkschaft, über das Sozialministerium, über das AMS und ich konnte ganz frei gestalten.
Nach den 18 Jahren, 1992, nachdem ich doch etwas aufgebaut hatte, was gut funktioniert hat, hat durch Zufall wieder jemand angerufen und suchte unter unseren Klientinnen eine Assistentin im Roten Kreuz für Gesundheit und Soziale Dienste und meinte nebenbei „Dich brauche ich ja nicht zu fragen, Du hast ja eh keine Zeit“. Mich hat das aber interessiert und so bin ich wieder zum Roten Kreuz zurück, da hatte ich schon mal gearbeitet. Ich bin dort in einer Position gesessen, wo es nichts gab. Und so habe ich wieder begonnen, etwas aufzubauen. Es war spannend und ich habe mir nicht den Kopf zerbrochen über irgendwas – ich habe einfach gemacht – Organisieren, Schulungsprogramme aufgestellt – da hatte ich ja schon langjährige Erfahrung – und es hat hervorragend funktioniert.
Ich habe in meinem ganzen Leben das gemacht, was mir Freude gemacht hat – und immer wieder Neues gelernt – ich habe Sozialmanagement gemacht, an der Hochschule den Lehrgang für Werbung und Verkauf, eine Therapieausbildung, alles nur für mich, weil es mich interessiert hat – nicht weil ich etwas Bestimmtes verfolgt habe – und irgendwie hat immer alles zusammengepasst.

Wann bist Du in die Politik gegangen?

Das war auch wieder Zufall. Ich bin 2001 in die Pension gegangen, ich war eine, die noch in die 55 Jahre Regelung gefallen ist und ich bin gegangen, weil ich wusste, dass sich die Durchrechnungszeiten verändern würden und ich dadurch verloren hätte. Ich habe dann eine Freundin bei einer Veranstaltung getroffen und die sagte mir, sie sei bei den Grünen SeniorInnen und die Vorsitzende sei gerade gegangen und sie hätten ein Chaos. Ich hatte mal wieder keine Ahnung was man da macht, aber Chaos fand ich gut und so bin ich dort in diese kleine Organisation eingestiegen. Wieder mal so eine Pioniergeschichte und es war nie schwierig. Ich bin dann nach drei Jahren die Sprecherin geworden- also eigentlich die Chefin der Partei, bin plötzlich im Landesvorstand gesessen, bin in den Europagremien gesessen und es hat sich einfach weiterentwickelt.

Es ist bei Dir sehr viel über das was man heute Netzwerken nennt entstanden und über Deine große Freude an den jeweiligen Tätigkeiten, die Du ausgeübt hast. Wie wichtig schätzt Du das Netzwerken heutzutage ein?

Das ist extrem wichtig bei der Jobsuche. Was machen Frauen jetzt, die 20, 30 Jahre in einem Job waren? Du hast dort ein begrenztes Netzwerk und ich habe immer auch außerhalb meines Jobs ein Netzwerk gehabt, immer. Und ich bin auch immer überall hingegangen. Es war mir vollkommen egal was. Ich habe mir alles angehört und hab mir gedacht, es wird schon etwas dabei sein, was man braucht und wenn nichts dabei war, war es auch gut. Und dadurch war ich so wie ein bunter Hund, der einfach da war. Automatisch hat das dann irgendwann auch dazu geführt, dass man mich eingeladen hat. Natürlich gab es auch Dinge, wo ich mich ferngehalten habe, weil ich das mit meiner Lebenseinstellung nicht gepasst hat.

Wie wichtig schätzt du heutzutage die Ausbildung ein?

Naja, ich denke, dass es heutzutage einfach keine Garantie mehr gibt, mit guter Ausbildung einen Job zu finden. Ich habe dieses Problem nie gehabt, egal ob ich qualifiziert war oder nicht, weil der Arbeitsmarkt ganz anders war. Wenn man etwas machen wollte, war es möglich – außer ein Mal in einer Fabrik, weil ich eine kaufmännische Angestellte war und dort als Arbeiterin eingestuft wurde. Qualifikation ist für gar nichts mehr eine Sicherheit, solange du dich in Europa bewegst. Das hat überhaupt nichts mit Bildung zu tun, sondern mit einem Arbeitsmarkt, der sagt: schauen wir, dass wir so viele Freiwillige wie möglich haben, die kosten nichts, egal was sie machen. Und bei den anderen schauen wir, dass wir möglichst billig fahren. Ob ich da jetzt gebildet bin oder nicht, spielt da kaum mehr eine Rolle.

Wir kommen da an einen Punkt, der ganz heikel ist, die Kollektivverträge. Die sind oft ein Hindernis, was man nie sagen darf, denn alles was ArbeitnehmerInnenschutz ist, ist ein Hindernis, wenn man sich in der Marktwirtschaft bewegen will. Und gerade Frauen sind da vollkommen ausgeliefert. Und dieses Abdrängen in die EPUs ist ein Wahnsinn, das hat etwas mit Kapitaleinsatz zu tun. Ich kenne Frauen, die in der Situation sind, die alles was sie auf die Seite gelegt haben in eine Selbständigkeit investieren, die nicht aufgeht.

Frauen sind aufgrund ihrer Geschichte anders risikobereit, aber nicht im Beruf, da bewegen sich Männer wahrscheinlich anders und gehen mit der Konkurrenz wahrscheinlich anders um.
All das hat mit dem System, in dem wir uns bewegen zu tun und das System zu bekämpfen ist eines der schwierigsten Angelegenheiten überhaupt. Man kann im Grunde niemandem etwas raten, man kann nur sagen, probiere es aus, vielleicht bleibt etwas hängen. Das Einzige was ich wirklich für gefährlich halte ist, wenn man nicht gelernt hat, sich überall hinzubewegen egal ob es etwas bringt oder nicht. Überall dabei zu sein, hinzugehen, hinzuhören, da muss man nicht kommunikativ sein. Die meisten haben Angst davor, etwas sagen zu müssen. Gar nicht, dabei sein!

Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass genau dieser Punkt, den du jetzt angesprochen hast, hinterfragt wird: Was soll mir das bringen? Gerade für alleinerziehende Frauen, deren Leben sich viel um die Erziehung dreht, die, wenn sie hinausgehen, meistens mit anderen Müttern zusammen sind und deren Welt vielleicht eine kleine, restriktive ist, ist es wichtig, hinauszugehen, sich ihren Freiraum zu schaffen.

Ja, das sehe ich auch so. Und wenn man sich alleine nicht traut, dann nimmt man zwei, drei andere mit. Und die Kinder auch, warum nicht? Aber das muss man lernen.
Wenn ich mir das Schulsystem heute anschaue, dann sehe ich, dass diese Generation gar nicht mehr diese Freiheit hat, Dinge auszuprobieren. Wenn ich daran denke, was ich als Kind schon alles machen konnte. Am Nachmittag war ich „frei“, ich konnte alles machen was ich wollte und ausprobieren. Das ist extrem schwierig geworden. Ich weiß auch nicht, wie man das lösen kann, denn man hat ja eine große Verpflichtung wenn man Kinder hat.
Was hältst Du, die ja selber viele ehrenamtliche Ämter bekleidest, von ehrenamtlichen Engagements?

Ja, da habe ich so mein Problem damit. Ich kann es mir leisten, aber Ehrenamt darf keine Arbeitsplätze ersetzen. Gerade im Sozialbereich versuchen sie alles mit ehrenamtlichen Tätigkeiten abzudecken. Auch die Krankenhäuser beginnen schon damit, auch die Pflege etc.
In Wien gibt es ca. 1000 LesepatInnen, ohne pädagogische Schulung, die machen die Sozialarbeit dazu etc. In Wirklichkeit ersparen sie sich die Förderlehrer.

Ein ähnliches Thema: Geringfügige Jobs

Richtig. Wenn Du beim AMS gemeldet bist, dann darfst Du nur einen geringfügigen Job haben. Mit mehreren könntest Du Dir vielleicht die Existenz sichern und würdest das AMS nicht mehr brauchen.

Was hältst Du von bedingungslosem Grundeinkommen?

Auch das ist eine politische Frage. Bedingungslos, da kommt dann schnell der Einwand, das ist die Hängematte. Arbeit darf kein Zwang sein, es darf auch nicht die Möglichkeiten ausschließen. Mir ist lieber, es arbeitet jemand geringfügig und hat ein gesichertes Einkommen. Auch ich hab mir immer gedacht, dass ich sehr froh darüber bin, dass ich immer bezahlte Arbeit hatte und hätte es als persönlichen Makel empfunden, wenn es nicht so gewesen wäre. Blöd eigentlich, weil es gibt immer was zu tun, aber offensichtlich ist diese katholisch geprägte Bedeutung von Arbeit tief in uns drinnen. Wir haben schon vor 30 Jahren gesagt, wenn wir ein anderes Steuersystem hätten, dann hätten alle genug zum Leben aber das wird sich nicht verwirklichen lassen.

Eine ganz andere Frage: ein Schwerpunkt deiner aktuellen Tätigkeit dreht sich um bessere Bedingungen für pflegende Angehörige. Es begegnen mir immer mehr Frauen, die ihre Angehörigen gepflegt haben, dadurch auch für durchaus längere Zeit aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind und damit hadern, diesen Zeitraum in ihrem Lebenslauf so abzubilden. Hast Du Erfahrung damit von Arbeitgeberseite?

Viele Arbeitgeber schätzen heutzutage soziale Kompetenz, dass das nichts Ehrenrühriges ist, im Gegenteil. Das einzige was mich daran immer stört ist, dass diese Menschen in dieser Zeit sozialrechtlich nicht gut abgesichert sind. Sie können sich zwar in dieser Zeit weiter versichern, das ist derzeit aber noch zu gering und das hat Auswirkungen auf die Pension. Aber nach einem Pflegeprozess wieder arbeiten zu gehen – ganz klar in den Lebenslauf hineinschreiben. Ich habe noch von keinem einzigen Betrieb etwas Negatives gehört.
Freiwillige Arbeit wird auch sehr positiv bewertet, das sollte man unbedingt im Lebenslauf aufnehmen. Die Kehrseite ist nur dann gefährlich, wenn der Betrieb sagt, fein, dann können Sie bei uns auch einige Stunden freiwillig arbeiten (lacht).

Ich sehe immer wieder Lebensläufe, die sehr bunt sind, also verschiedene Tätigkeiten, kurze Verweildauer in den Unternehmen etc. was bei Unternehmen zum Teil kritisch betrachtet wird. Was ist Deine Erfahrung?

Ich glaube, dass das zum Teil noch so ist. Ich weiß aus meiner Zeit in der Erwachsenenbildung, dass das auch damals ein Thema war, weil ich damals schon eine Latte von verschiedenen Tätigkeiten hinter mir hatte. Ich habe geantwortet, dass ich überall etwas dazugelernt habe. Daraufhin bekam ich einen befristeten Vertrag für 6 Monate, damit man sieht ob ich überhaupt bleibe. Ich bin 18 Jahre geblieben. Mittlerweile verändert sich das. Es liegt am Bewerber selbst, das positiv zu konnotieren und zu erklären – man hat in der Zeit viel gelernt. Es geht um das Selbstbewusstsein, gerade bei Frauen und für die Arbeitgeber wird es langsam Usus, dass sie solche Lebensläufe vor sich haben. Solange man jetzt aus dieser Erfahrung heraus nicht mit unverschämten Gehaltsvorstellungen argumentiert (lacht).

Wie siehst Du die Veränderungen am Arbeitsmarkt? In meiner Wahrnehmung bewegen wir uns immer mehr hin zu mehreren Teilzeitbeschäftigungen, unter Umständen auch der eine oder andere Geringfügigenjob.

Auch darüber haben wir gestern in einem kleinen politischen Rahmen diskutiert und da sagte jemand, es sei so furchtbar für die jungen Menschen heutzutage. Die wachsen aber damit auf. Die sind es gar nicht gewohnt, irgendwo 40 Stunden zu sitzen. Die können aus einem Mosaik wählen. Und das müssen Frauen auch lernen. Du wirst immer weniger Jobs haben wo du regulär an einem Platz bleibst. Und jetzt kommen Frauen, die 20, 30 Jahre wo waren und jetzt müssen Sie sich plötzlich mit diesem Mosaik beschäftigen, wenn sie weitermachen wollen.
Wie organisiere ich mich mit 2, 3 Jobs? Ich denke da ganz brutal an die vielen Putzfrauen, die das bereits seit vielen Jahren machen. Die haben 10 verschiedene Jobs und organisieren das im Team. Da kann man viel an Flexibilität lernen. Das ist so wie beim Studium, wenn Du heute eine bestimmte Sache studierst und einseitig bleibst, ist das hoffnungslos.
Diese Flexibilität lernst du heute als Kind sicher schon automatisch, ganz einfach weil du da drinnen lebst. Wir haben das nicht so gelernt. Wir haben eines nach dem anderen gelernt anstatt 5 Dinge gleichzeitig, aber das wird die Zukunft sein.

Aber Menschen sind verschieden und manche brauchen halt diese Kontinuität und Stabilität, weil sie ihnen Sicherheit bringt. Es geht also darum, wie kann ich mir in diesem sich verändernden Markt die Sicherheit schaffen, die ich brauche? Sich einen Rahmen schaffen, innerhalb dessen man sich sicher aber doch flexibel bewegen kann.

Es geht ja heute nicht mehr nur um die reine Anwendung dessen, was man mal gelernt hat in einer oder mehreren Ausbildungen. Es geht um viel mehr, es geht darum, sich seinen eigenen Job zu schaffen, sich einzubringen mit all seinen Erfahrungen, weg vom Schablonendenken.

Eigentlich sollte man Buch darüber führen, was einem dort am wichtigsten, was man dort gelernt hat und das mitnehmen. Besonders Frauen über 50 sollten ihr Profil dahingehend schärfen, das man sieht und spürt, dass sie flexibel sind. Heute arbeitet man nicht mehr so wie früher in einer Bank, wo man immer die gleiche Tätigkeit verrichtet. Ich denke, dass es für Betriebe wichtig ist, das Vertrauen zu haben, das Menschen/Frauen über 50 flexibel sind. Und wer nicht „immer schon“ flexibel war, der/die wird sich schwer tun.
Es geht darum, ein Stück weit seine eigene Angst vor Veränderungen zu überwinden und auch den positiven Aspekt darin zu sehen. Ich hatte großes Glück in meinem Leben, denn ich hatte eine nicht sesshafte Mutter und das auch mich sehr geprägt in meiner Anpassungsfähigkeit.
Liebe Birgit, vielen Dank für das Gespräch!

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Birgit Meinhard-Schiebel, Jahrgang 1946, war Schauspielerin, Sozialmanagerin und hat 18 Jahre in der Erwachsenenbildung mit arbeitssuchenden Frauen gearbeitet, bevor sie in die Politik ging. Sie ist Vorsitzende der Grünen SeniorInnen Wiens, stellvertretende Vorsitzende der Gplus Österreich, Chairwoman von ENGS (European Network Green Seniors), SeniorInnensprecherin der Wiener Grünen und Bezirksrätin des Wiener Bezirkes Alsergrund. Seit 2010 ist sie Präsidentin der Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger, die sich für die Anliegen von Menschen aller Generationen einsetzt, die Angehörige, Freunde oder bekannte Menschen betreuen und pflegen. Sie übt diese Tätigkeit ebenfalls ehrenamtlich aus.

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